Hier können Sie eine Auswahl von Laudationes lesen, welche zu Ausstellungen gehalten wurden.
Zur Eröffnung der Sonderausstellung mit Malerei & Graphik von Uta Oesterheld-Petry und Annett Schauß
»ERLESENES – Worte in Bildern« am 6. April 2025, Literaturmuseum »Theodor Storm«, Heiligenstadt
»ERLESENES – Worte in Bildern« am 6. April 2025, Literaturmuseum »Theodor Storm«, Heiligenstadt
Liebe Gäste!
Herzlich begrüßen möchte auch ich Sie bei dieser Sonderausstellung hier im Literaturmuseum Theodor Storm. Es ist mir eine besondere Freude, mit Ihnen heute in die Arbeiten von Uta Oesterheld-Petry und Annett Schauß hinein zu lauschen….was sie alles zu erzählen haben, mitteilbar machen möchten, wahrnehmbar, spürbar…wie sie Unruhe stiften, aufstörend und aufrührend bewegen, wie sieFragen stellen, insistieren, anmahnen und ermutigen und das auch in der Kontemplation…wenn sie aus Gedankenbildern schöpfen, aus alltäglichen und immer auch besonderen Beobachtungen und Begegnungen, die sie für uns sichtbar auf Leinwand und Papier imaginieren und in ihrer Sprache zur Sprache bringen. Etwas Erlesenes … Worte in Bildern
Das Erlesene, wie es im Leitmotiv für diesen vielstimmigen Dialog der beiden Künstlerinnen anklingt, meint ja in seiner Bedeutung zunächst das Besondere in der Wertschätzung, auch wenn es in diesem Fall vor allem auf einen besonderen literarischen Fundus schließen lässt, mit dem sie sich in einer Reihe von Arbeiten auch schöpferisch verständigt haben. In malerischen und zeichnerischen Reflektionen über Texte von Heinrich Heine und Theodor Storm und in das, was uns in deren Lebens- und Gedankenwelt auch aktuell noch angeht und zu denken geben könnte.
Und sei es in Form eines Kunstmärchens, dem sich Annett Schauß mit Storms früher Erzählung »Hinzelmeier« in einer Auswahl von Momentaufnahmen widmet. Mit einer Geschichte, in der die Sehnsucht nach dem Lebensglück und dessen Scheitern in ein allegorisches Szenario einbettet ist, das von fantastischen Traumsequenzen durchdrungen ist und auf metaphorische Bilder vertraut, die sich einer allzu realistische Lesart verweigern. Über die hätten sich Storms Zeitgenossen vermutlich empört.
Herzlich begrüßen möchte auch ich Sie bei dieser Sonderausstellung hier im Literaturmuseum Theodor Storm. Es ist mir eine besondere Freude, mit Ihnen heute in die Arbeiten von Uta Oesterheld-Petry und Annett Schauß hinein zu lauschen….was sie alles zu erzählen haben, mitteilbar machen möchten, wahrnehmbar, spürbar…wie sie Unruhe stiften, aufstörend und aufrührend bewegen, wie sieFragen stellen, insistieren, anmahnen und ermutigen und das auch in der Kontemplation…wenn sie aus Gedankenbildern schöpfen, aus alltäglichen und immer auch besonderen Beobachtungen und Begegnungen, die sie für uns sichtbar auf Leinwand und Papier imaginieren und in ihrer Sprache zur Sprache bringen. Etwas Erlesenes … Worte in Bildern
Das Erlesene, wie es im Leitmotiv für diesen vielstimmigen Dialog der beiden Künstlerinnen anklingt, meint ja in seiner Bedeutung zunächst das Besondere in der Wertschätzung, auch wenn es in diesem Fall vor allem auf einen besonderen literarischen Fundus schließen lässt, mit dem sie sich in einer Reihe von Arbeiten auch schöpferisch verständigt haben. In malerischen und zeichnerischen Reflektionen über Texte von Heinrich Heine und Theodor Storm und in das, was uns in deren Lebens- und Gedankenwelt auch aktuell noch angeht und zu denken geben könnte.
Und sei es in Form eines Kunstmärchens, dem sich Annett Schauß mit Storms früher Erzählung »Hinzelmeier« in einer Auswahl von Momentaufnahmen widmet. Mit einer Geschichte, in der die Sehnsucht nach dem Lebensglück und dessen Scheitern in ein allegorisches Szenario einbettet ist, das von fantastischen Traumsequenzen durchdrungen ist und auf metaphorische Bilder vertraut, die sich einer allzu realistische Lesart verweigern. Über die hätten sich Storms Zeitgenossen vermutlich empört.
Über einen Rosengarten, der die ewige Liebe so schön romantisch symbolisiert und dabei auch die sexuelle Erfüllung in einer Partnerschaft meint, die das ewig junge Elternpaar des Erzählers ihm immer wieder vorlebt. Und dann über seine maßlosen Ansprüche und seine Selbstüberschätzung, bis hin zum Größenwahn, weil dieser Hinzelmeier, dem materiellen Erfolg und dem ersehnten gesellschaftlichen Status am Ende mehr vertraut als seinen emotionalen Sehnsüchten.
Selbst wenn sich Annett Schauß mit ihren malerischen Reflektionen über Storms Erzählung vor allem der Idee von Uta Oesterheld-Petry für einen gemeinsamen schöpferischen Dialog anschließt, wie sie ihn mit Heinrich Heine begonnen hatte, werden sie feststellen, dass es in dieser Ausstellung immer wieder zu Korrespondenzen kommt. Weniger zwischen Heine und Storm und was ihre Themen und Motive betrifft, sondern vor allem unter dem Aspekt, wie sehr und wie oft literarische Stoffe ebenso wie Gemälde, Zeichnungen und Skizzen immer auch Stellung nehmen zu den politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnissen ihrer Zeit und wie sich in jedem künstlerischen Prozess wechselseitig beflügeln. Oft auch im Bündnis mit Tondichtungen, rhythmischen Gesten und den poetischen Lautmalereien, die sich dann auf ihre Weise in einer Bildkomposition einfach als Klangbild oder klingendes Gedankenecho zu Wort melden, stören, aufrühren und bewegen…wie Lieder ohne Worte.
Manchmal genügt bereits ein historischer Anlass wie der, der Uta Oesterheld- inspirierte. Heinrich Heines christliche Taufe vor 200 Jahren in Heiligenstadt, als er glaubte, sich mit dem »Taufzettel« das »Entreebillett zur europäischen Kultur« erworben zu haben, von der er sich als Jude ausgeschlossen erlebt hatte und es auch weiterhin blieb. Als politisch engagierter Ruhestörer und wachsamer Chronist der politischen und sozialen Verhältnisse und ihrer Seilschaften, wie sie sich der Vision eines demokratischen Miteinanders auch weiterhin verweigerten und lieber einem autoritären Nationalismus huldigten. Doch nicht nur die satirischen, spöttischen und polemischen Untertöne in den Worten Heines haben ihre Spuren in den Bildmotiven der Künstlerin hinterlassen sondern auch die des einfühlsamen Naturbeobachters, der in seinen Reisebildern wieder zum Sehnsuchtsmenschen wurde.
So wenig wie sich Bildmotive an Rahmen und Begrenzungen halten, vermögen es die Worte von Heine und Storm, die sich im benachbarten Ausstellungsraum in Auszügen ihrer Werke nachlesen lassen. Sie sind auch hier bisweilen sehr umtriebig und mischen sich im Bündnis mit den Anmerkungen weiterer literarischer Zeitchronisten auf ihre Weise in die Bilderzählungen von Ute Oesterheld-Petry und Annett Schauß ein. In diese Gestalt, die so ganz bei sich zu verweilen scheint, mit diesem inwendigen Blick, der sich nicht enträtseln lassen will, würde ich spontan ein Gedankenbild von Georg Büchner hineinlesen. »Was ist das, was in uns lügt, mordet und stiehlt?«
Mit dieser Frage könnten auch die maskenhaft verzerrten Gestalten gemeint sein, die Annett Schauß in ihrer Serie „Nachtmahr“ posieren lässt und sie in ihren Obsessionen gnadenlos demaskiert. Und ist nicht auch diese dramatisch aufleuchtende Landschaft, in der Uta Oesterheld-Petry eine Vision von Eden als Ort der beschützenden Geborgenheit imaginiert, von Spuren dieser Fratzengesellschaft durchdrungen, die keine versöhnliche Ruhe geben kann und anderen diesen Sehnsuchtsort verweigert… den Kriegs- und Armutsgeflüchteten, deren Wünsche und Hoffnungen die Künstlerin in ihrer Eden Serie malerisch zur Sprache bringen wollte.
Trügt der Schein nicht vielleicht auch in dieser Allee, wo das satte Blattgrün in den Zweigen munter austreibt und für Momente den dunklen Hintergrund weg zu blenden vermag…auch das, was dort möglicherweise bereits an Unruheherden und Verwerfungen in Lauerstellung verharrt und in weiteren Landschaften nicht verborgen bleibt? Auch unwegsame Flächen und Regionen markieren den Weg zu einem befreienden offenen Horizont.
Auf dem Spielfeld, das Annett Schauß mit ritterlichen Figurinen aufgerüstet hat, trügt der Schein schon lange nicht mehr, den sie mit den Worten Walter Benjamins dramatisch zuspitzt und mit plakativer Wucht versieht. »Je weiter wir aus dem Inneren heraustreten, desto politischer wird die Atmosphäre.«
Er trügt auch nicht in den „Sequenzerlebnissen im städtischen Raum“ und den zerstörerischen Kollisionen in einer Welt von Einzelkämpfern, die das kapitale Wettbewerbsmodell bereits verinnerlicht haben, das Schwächen und Verletzlichkeiten ins Abseits drängt und ständig würgt.
Die Künstlerin arbeitet und argumentiert auch gern mit Requisiten und ihrer irritierenden Wirkung, mit der sich wunderbar assoziativ durch ihre Bilderzählungen flanieren lässt. Etwa für den Blick aus dem Fenster auf eine versteinerte Industriekulisse, für die sie ein häusliches Stillleben mit Reibe, Apfelstücken und Garnrolle angerichtet hat. Bei diesem Stillleben könnte man jetzt über alltägliche und besondere Reibungsverluste sinnieren und was trotz Mindestlohngeboten noch alles aufreibt im täglichen Überlebenskampf und an einem Durchhaltefaden festgezurrt wird. Da reibt sich vermutlich mit dem paradiesischen Apfelstückchen aus dem Garten Eden auch die Hoffnung auf bessere Zeiten auf…
Empört euch wenigstens! fordern die alltäglichen und besonderen Beobachtungen, die Annett Schauß zu einem Schauspiel verdichtet, das in der Komödie gern die Farce anklingen lässt und in der Tragödie noch die letzten Widerstandreserven gegen das drohende blutige Finale mobilisiert. Die Bilderfluten, die sie über lange Jahre in Berlin als Großstadtchronistin wahrnahm, drängen bei ihr aus Leinwand und Papier heraus, um uns nachdenklich zu bestürmen. Seht, was ihr euch und anderen zumutet und dabei auch das, was ihr euch zumuten lasst im sozialen Verteilungskampf, in der politischen Radikalisierung und in der globalen Ausbeutung der Natur und ihrer Ressourcen!
Darin verständigen sie sich auch mit den Arbeiten von Uta Oesterheld-Petry, deren malerische Reflektionen für mich die Form von Essays annehmen, die bei der »quo vadis« Frage immer wieder innehalten, um noch einen Moment länger darin zu verweilen, bevor sie erneut zur Bildsprache gebracht werden… und immer wieder hält die Künstlerin dabei nach den weiteren Aussichten Ausschau und nach möglichen Optionen.
Bevor sie in dem zweiten Ausstellungsraum auf die Wort und Bildbegegnungen mit Storm und Heine treffen, begegnen sie den Lichtblicken , die Ute Oesterheld-Petry auf ihrer malerischen Harzreise vernahm und in zarten poetischen Skizzen schildert. Munter dazwischen funkt Annett Schauß mit ihrem vermeintlichen Charakterkopf, dem Heine auf seinen Wanderungen in vielen Variationen begegnet ist, um sich daraus seinen spöttischen Reim zu machen. Dass ihn die Künstlerin noch mit einem ironischen Bonmot versah, hätte vielleicht sogar ihn entzückt. »Denken ist nicht meine Stärke« … bevor er sich Jahre später dem politischen Alptraum widmete, den Uta Oesterheld-Petry malerisch in zwei Variationen imaginierte, weil auch die gestörten Verhältnisse ständig weiter austreiben und variieren, so wie sie sich aktuell zuspitzen. »Denk ich an Deutschland in der Nacht«…
Und schon sind sie wieder zur Stelle, die Maskengestalten, die Blender und die Gierschlunde, die Annett Schauß in ihren Federzeichnungen posieren lässt, um sie mit den Verlorenen und den gemeinschaftlichen Überlebenskämpfer zu kontrastieren und mit Bilderzählungen und Buchumschlag-entwürfen zu Theodor Storms »nachdenklicher Geschichte«. Uta Oesterheld-Petry folgt hier weiteren Spuren von Heines Harzreise und begibt sich auf weitere wandelnde Landschaften zum nachdenklichen Innehalten, während sich der »Prahlhans« von Annett Schauß demonstrativ zu Wort melden muss, als ob er diesen Aufmarsch von Gestalten, die da scheinbar gemeinschaftlich posieren, noch überstimmen könnte. Auch mit dieser Frage »Gemeinsam? Einsam?« die ihnen die Künstlerhin zumutet, die ihn ja im Grunde ebenso angeht.
Es ist eine zarte Stimme, die diesen Prahlhans fast lautlos übertönt. Ein Hauch von Zeichnung nur, den Uta Oesterheld-Petry dem sehnsüchtigen Ruhestörer Heine und seiner Erkenntnis über die Sterne des Glücks gewidmet hat. Aber damit lässt sich wunderbar ausschwärmen in Erlesenem in Worten und Bildern, für bewegende und berührende Momente. Lassen auch Sie nachdenklich inspirierend beflügeln von den erlesenen und gelebten Gedankenbildern der beiden Künstlerinnen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Tina Fibiger, Heiligenstadt
Zur Eröffnung der Ausstellung »ALLTÄGLICHES – Wirklichkeit und Fiktion« Grafik, Malerei, Fayence, am 6.1.25 in der Galerie des Verbandes Bildender Künstler Thüringen e.V., Krämerbrücke 4, Erfurt
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Annett Schauß, liebe Gäste,
Mein Name ist Jarla Schauß. Ich bin die Tochter der Künstlerin Annett Schauß … Schon immer begleitet mich mein Interesse um Kunst und Philosophie – mit beidem setze ich mich privat auseinander, aber auch im Zuge meines kulturwissenschaftlichen Studiums. In diesem erlernte ich künstlerische Arbeit und künstlerische Haltung und Denkweise von außen zu betrachten und mir immer wieder die Frage zu stellen, was dieses künstlerische Denken eigentlich ist.
Der Künstler Pablo Picasso beschrieb das Malen und die Kunst als fortwährende Suche. »I never do a painting like a work of art. It is always a search. I’m always seeking and there is a logical connection throughout that search.« Frei übersetzt heißt das, dass er nicht um des Kunstwerkes willens malt. Er ist immer auf der Suche und es gibt eine logische Verbindung während dieser Suche.
Diese Suche begründet sich nicht darin, Malerei als Kunstwerk zu finden oder das Kunstwerk als zu Suchendes und Hervorzubringendes der Malerei vorwegzunehmen. Das Malen selbst wird Suche, die Suche selbst wird Malerei – und dennoch entsteht Kunst. Wie ist dies möglich, wenn das Streben nach dem Kunstwerk, nicht Ausgang und Antrieb des Machens beziehungsweise des Arbeitens ist? Wie entsteht Kunst, ohne dass ihr ein bestimmter Begriff vorausgeht? Eine simple Antwort auf diese Fragen lautet zunächst: Sie wird erarbeitet. Picassos Zitat, als Beispiel zufolge, wird sie im Prozess einer Suche erarbeitet, die sich in der Praxis des Arbeitens – hier beispielsweise in Malerei – vollzieht.
Und auch dieser Ausstellung »Alltägliches ─ Wirklichkeit und Fiktion« ging im Verborgenen, ohne Publikum, ein Prozess der Suche voraus, die Suche nach dem richtigen Material, dem richtigen Motiv und der Aussage der zu entstehenden Werke aber auch die Suche und das Finden eines Arbeits- und Präsentationstitels.
Der Darstellung über das künstlerische Schaffen von Annett Schauß möchte ich aber sehr gern mit einem zufälligen Blick meinerseits beginnen. Beim Aufräumen und Aussortieren vor einem Jahr fiel mir eine Grafik des bekannten und geschätzten Leipziger Künstlers Sieghard Gille, welcher unter anderem das großflächige Deckengemälde des Leipziger Gewandhauses gestaltete, in die Hände. Vor sehr vielen Jahren bekam ich diese Grafik von ihm persönlich mit Widmung geschenkt. Ich war damals zusammen mit meiner Mutter, Annett Schauß, in Leipzig. Dort besuchten wir Sieghard Gille in seinem Atelier. Meine Mutter holte Grafiken von ihm ab, Bilder zu Don Quichote, die er illustrativ zu dem gleichnamigen Buch, erschienen bei Faber und Faber in Leipzig, gestaltete. Sie kuratierte dazu eine Ausstellung.
Ein Jahrzehntlang besaß meine Mutter eine Galerie für angewandte Kunst im Land Brandenburg, in Bernau bei Berlin. Für mich war das Schauplatz, Inspiration und eine unerschöpfliche Fundgrube. Kulturell bedeutsame Ausstellungen fanden dort statt. So widmete man sich dort der ausgestorbenen Sparte der Fernseh-Grafik oder der Grafiken aus dem Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin aus der Sammlung der Hoffmanniana, welche Werke zu ETA Hoffmanns Arbeiten archivieren. Die von ihr kuratierte erstmalige Ausstellung zur Fernseh-Grafik ging anschließend in die Staatlichen Museen Berlins, in die Kunstbibliothek und wurde dort nochmals präsentiert, diesmal mit stattlichem Zuschuss.
Als Kind spielte ich mit dem Grafiker Volker Pfüller auf dem Galerie-Hof Schach oder bekam von der Berliner Kostümbildnerin Lonka Zauleck ein Papagena-Kinder-Kostüm geschenkt, da ich gern Arien aus der Zauberflöte sang. Auch machte ich mir im Vorschulalter, während verschiedener Vernissagen mit kleinen Grafiken, die ich zuvor fertigte, Geld, die ich dann an die Künstler dort verkaufte. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand von den Künstlern ablehnte. Jazz, klassische Musik, Puppentheater, Ausstellungen, all das begleitete mich und eröffnete mir Welten.
Bei einem Besuch der Kunstprofessorin Prof. Dr. Marie Louise Schaum betrat diese ebenfalls die Wohnung über der Galerie und fand dort die Grafiken und Malereien meiner Mutter vor. Dieser Besuch beeinflusste wiederum meine Mutter Annett Schauß tiefgreifend für ihr ganzes Leben, denn Schaum fragte, wann sie nun eigentlich ihre eigenen Bilder ausstelle.
Ab da war es so und intensiver als je zuvor. Und dass nun schon mehrere Jahrzehnte.
Ihre Bilder zeigen Narrative des Zivilisationsgeschehens, getragen und durchzogen durch Metaphern, Zitate, Slogans, Werbesprüche. Schauplatz in den Bildern ist oft die Stadt aber auch andere räumliche Gebilde. Gezeigt werden Sequenzen des urbanen Raums – Szenen und Momentaufnahmen. Ihr Thema ist das Leben auf der Straße: scheinbare Konversationen, schnelle Begegnungen.
Für Annett Schauß ist die Stadt ein Lebensraum, der bunt und vielseitig erscheint, wie ein Theater oder eine Ausstellung voller Geräusche. Dort werden Alltagsgeschichten Reiseanekdoten und Begegnungen erzählt, die oft erst durch den Zufall sichtbar werden. Nicht selten spiegeln sie auch biografische Lebensumstände der Künstlerin wider. Ohne sich auf konkrete Wiedererkennungswerte zu beziehen, nähert sie sich der Dokumentation topografischer Erinnerungen – so beschrieb der Kunstwissenschaftler Herbert Schirmer ihre Werke – nicht als naturgetreue Wiedergabe, sondern in Verbindung des Wesentlichen mit dem Unwesentlichen. Oft sind die Motive das Ergebnis von Beobachtungen des menschlichen Verhaltens, oft auch Milieuschilderungen von Eindrücken, die sie antrieben. Sie wählt dabei nicht aus, ob es gute Geschichten sind, oder schlechte. Es sind Geschichten, die sie wahrnimmt, die so oder anders passierten sind oder passiert sein könnten.
Dies möchte sie wiedergeben, so wie Schriftsteller mit Worten umgehen, mit Texten, mit verbalen Inhalten, so geht sie mit Zeichen, Bildern, Metaphern um. Dabei verliert sie sich oft auch in literarischen Texten, denn diese sind ja auch aufgeschriebene Beobachtungen, wie diese:
»Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge« von Rainer Maria Rilke
Habe ich es schon gesagt? Ich lerne sehen - ja, ich fange an. Es geht noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen. Daß es mir zum Beispiel niemals zum Bewusstsein gekommen ist, wieviel Gesichter es giebt. Es giebt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den andern? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. Aber es kommt auch vor, daß ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch nicht? Gesicht ist Gesicht. Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. Es scheint ihnen zuerst, sie hätten für immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist schon das letzte. Das hat natürlich seine Tragik. Sie sind nicht gewohnt, Gesichter zu schonen, ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat Löcher, ist an vielen Stellen dünn wie Papier, und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und sie gehen damit herum.
Figuren sind es, die oft im Vordergrund des Bildes, bühnenartig arrangiert, mimen – langgestreckte Figuren in knappen Umrissen vor aufragenden städtebaulichen Gebilden, getrennt und doch eine Einheit im Gefüge. Die Figuren schulden ihre Wirkung der besonderen Formensprache, die stets in feiner Feder- oder Pinselzeichnung geschaffen wurden –collagiert, übermalt, halb angedeutet, halb ausgeformt, mit silhouettenhaften Umrissen, teils mit maskenartigen Gesichtern, verleiht sie ihnen individuellen Ausdruck. Masken sind bewahrter Ausdruck und bewundernswerte Echos des Fühlens, zugleich wahrheitsgetreu, zurückhaltend und übersteigert. Die Figuren oft in rätselhafte Dämmerung gehüllt – allein anfindend oder in Gruppen, ab und an absichtsvoll ungewandt, oft in feinsten zeichnerischen Strichen ausgeführt, absichtsvoll verstärkt oder schattenartig dargestellt, lösen sie beim Betrachter, der sich auf die Werke einlässt, subtile Empfindungen aus.
Ein wiederkehrendes Element in Annett Schauß‘ Bildern ist auch der Blick aus dem Fenster. In Kombination mit charakteristischen Attributen, trivialen Gegenständen oder symbolträchtigen Objekten verweisen sie auf das Leben, das sich – eigentlich hinter den Außenmauern verborgen – in den Lebensbereichen im Inneren abspielt. So können Küchenreibe, Apfel, Schnur als narrative Elemente fungieren, die das Geschehen im Rauminneren repräsentieren. Auf diese Weise werden Geschichten neu erzählt. Auf neue Art wird sinnfällig, was sich hinter den Fassaden abspielt.
Durch den geschickten Einsatz vereinzelter in Szene gesetzter Schlagworte, die wie Reklameschilder in den urbanen Räumen wirken, zeigt sie sinnfällig die Zerrissenheit zwischen realem politischem Handeln und dem Spiel mit Absurditäten. Sie regen an, zum Nachsinnen und Erinnern an Ereignisse, die einst bewegten und zugleich bieten sie eine Realsatire auf den nervösen Zeitgeist.
In ihren Werken erzählt sie von Menschen, dem Verkehr der Stadt, den Geräuschen, den Bildern, den unbekannten „Persönlichkeiten“, dem Gemeinschaftsgefühl und den Stammtischen. Ihre künstlerische Haltung beschreibt sie treffend durch ein Zitat von dem österreichisch-israelischen jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber (*1878, †1965): „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“
Zur Person der Künstlerin: Annett Schauß, geboren 1964 in Berlin, nach dem Abitur zur Keramikerin ausgebildet, begann sie 1988 das Studium zur Farb- und Oberflächengestalterin an der Fachhochschule für Angewandte Kunst in Berlin-Schöneweide, Schulteil Potsdam und schloss dieses als Diplom-Designerin ab. Seit 1991 arbeitet sie freiberuflich im Bereich der Denkmalpflege, der baugebundenen, der freien und angewandten Kunst. Ein Jahrzehnt führte Annett Schauß die angesehene Ladengalerie in Bernau bei Berlin. Diese Galerie war begehrter Anziehungspunkt von Fachkollegen der »Gebrauchsgrafik«, für Besuche der dortigen Ausstellungseröffnungen und geführten Künstlergesprächen.
Seit 2010 ist Annett Schauß auch als Dozentin in verschiedenen Kultureinrichtungen, Volkshochschulen sowie an Grund- und weiterführenden Schulen tätig. Mit Projekten wie „Künstler für Schüler“ im Barnim oder ähnlichen Initiativen in Mitteldeutschland wie dem Projekt der Kulturagent:innen Thüringen bringt sie kreatives Arbeiten abseits des klassischen Kunstunterrichts in die Schulen. Dabei profitieren die Schüler von ihrer Begeisterung und ihrem künstlerischen Können.
Zudem arbeitet Annett Schauß mit Institutionen wie unter Anderem der Klassik Stiftung Weimar zusammen, um Erwachsenen und Lehrenden verschiedene Kunsttechniken sowie Wissen und Begeisterung für die Kunst zu vermitteln.
Seit drei Jahren lebt Annett Schauß im ländlichen Thüringen, das ihr neue Inspiration und eine Quelle für ihre künstlerische Arbeit bietet. Dennoch bleibt das Land Brandenburg ein wichtiger Bestandteil ihres Schaffens. Dort nutzt sie weiterhin Arbeitsräume und beschäftigt sich mit Themen, die sie in ihre Projekte einbezieht. Ihre Arbeiten präsentiert sie auch über die Landesgrenzen hinaus – so stellte sie beispielsweise im vergangenen Jahr im Oderbruch aus.
Auf diesem Weg und in der eigenen künstlerischen Arbeit wünsche ich der Künstlerin Erfolg. Den Besuchern wünsche ich Anregungen und Impulse von der Ausstellung.
Der Künstler Pablo Picasso beschrieb das Malen und die Kunst als fortwährende Suche. »I never do a painting like a work of art. It is always a search. I’m always seeking and there is a logical connection throughout that search.« Frei übersetzt heißt das, dass er nicht um des Kunstwerkes willens malt. Er ist immer auf der Suche und es gibt eine logische Verbindung während dieser Suche.
Diese Suche begründet sich nicht darin, Malerei als Kunstwerk zu finden oder das Kunstwerk als zu Suchendes und Hervorzubringendes der Malerei vorwegzunehmen. Das Malen selbst wird Suche, die Suche selbst wird Malerei – und dennoch entsteht Kunst. Wie ist dies möglich, wenn das Streben nach dem Kunstwerk, nicht Ausgang und Antrieb des Machens beziehungsweise des Arbeitens ist? Wie entsteht Kunst, ohne dass ihr ein bestimmter Begriff vorausgeht? Eine simple Antwort auf diese Fragen lautet zunächst: Sie wird erarbeitet. Picassos Zitat, als Beispiel zufolge, wird sie im Prozess einer Suche erarbeitet, die sich in der Praxis des Arbeitens – hier beispielsweise in Malerei – vollzieht.
Und auch dieser Ausstellung »Alltägliches ─ Wirklichkeit und Fiktion« ging im Verborgenen, ohne Publikum, ein Prozess der Suche voraus, die Suche nach dem richtigen Material, dem richtigen Motiv und der Aussage der zu entstehenden Werke aber auch die Suche und das Finden eines Arbeits- und Präsentationstitels.
Der Darstellung über das künstlerische Schaffen von Annett Schauß möchte ich aber sehr gern mit einem zufälligen Blick meinerseits beginnen. Beim Aufräumen und Aussortieren vor einem Jahr fiel mir eine Grafik des bekannten und geschätzten Leipziger Künstlers Sieghard Gille, welcher unter anderem das großflächige Deckengemälde des Leipziger Gewandhauses gestaltete, in die Hände. Vor sehr vielen Jahren bekam ich diese Grafik von ihm persönlich mit Widmung geschenkt. Ich war damals zusammen mit meiner Mutter, Annett Schauß, in Leipzig. Dort besuchten wir Sieghard Gille in seinem Atelier. Meine Mutter holte Grafiken von ihm ab, Bilder zu Don Quichote, die er illustrativ zu dem gleichnamigen Buch, erschienen bei Faber und Faber in Leipzig, gestaltete. Sie kuratierte dazu eine Ausstellung.
Ein Jahrzehntlang besaß meine Mutter eine Galerie für angewandte Kunst im Land Brandenburg, in Bernau bei Berlin. Für mich war das Schauplatz, Inspiration und eine unerschöpfliche Fundgrube. Kulturell bedeutsame Ausstellungen fanden dort statt. So widmete man sich dort der ausgestorbenen Sparte der Fernseh-Grafik oder der Grafiken aus dem Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin aus der Sammlung der Hoffmanniana, welche Werke zu ETA Hoffmanns Arbeiten archivieren. Die von ihr kuratierte erstmalige Ausstellung zur Fernseh-Grafik ging anschließend in die Staatlichen Museen Berlins, in die Kunstbibliothek und wurde dort nochmals präsentiert, diesmal mit stattlichem Zuschuss.
Als Kind spielte ich mit dem Grafiker Volker Pfüller auf dem Galerie-Hof Schach oder bekam von der Berliner Kostümbildnerin Lonka Zauleck ein Papagena-Kinder-Kostüm geschenkt, da ich gern Arien aus der Zauberflöte sang. Auch machte ich mir im Vorschulalter, während verschiedener Vernissagen mit kleinen Grafiken, die ich zuvor fertigte, Geld, die ich dann an die Künstler dort verkaufte. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand von den Künstlern ablehnte. Jazz, klassische Musik, Puppentheater, Ausstellungen, all das begleitete mich und eröffnete mir Welten.
Bei einem Besuch der Kunstprofessorin Prof. Dr. Marie Louise Schaum betrat diese ebenfalls die Wohnung über der Galerie und fand dort die Grafiken und Malereien meiner Mutter vor. Dieser Besuch beeinflusste wiederum meine Mutter Annett Schauß tiefgreifend für ihr ganzes Leben, denn Schaum fragte, wann sie nun eigentlich ihre eigenen Bilder ausstelle.
Ab da war es so und intensiver als je zuvor. Und dass nun schon mehrere Jahrzehnte.
Ihre Bilder zeigen Narrative des Zivilisationsgeschehens, getragen und durchzogen durch Metaphern, Zitate, Slogans, Werbesprüche. Schauplatz in den Bildern ist oft die Stadt aber auch andere räumliche Gebilde. Gezeigt werden Sequenzen des urbanen Raums – Szenen und Momentaufnahmen. Ihr Thema ist das Leben auf der Straße: scheinbare Konversationen, schnelle Begegnungen.
Für Annett Schauß ist die Stadt ein Lebensraum, der bunt und vielseitig erscheint, wie ein Theater oder eine Ausstellung voller Geräusche. Dort werden Alltagsgeschichten Reiseanekdoten und Begegnungen erzählt, die oft erst durch den Zufall sichtbar werden. Nicht selten spiegeln sie auch biografische Lebensumstände der Künstlerin wider. Ohne sich auf konkrete Wiedererkennungswerte zu beziehen, nähert sie sich der Dokumentation topografischer Erinnerungen – so beschrieb der Kunstwissenschaftler Herbert Schirmer ihre Werke – nicht als naturgetreue Wiedergabe, sondern in Verbindung des Wesentlichen mit dem Unwesentlichen. Oft sind die Motive das Ergebnis von Beobachtungen des menschlichen Verhaltens, oft auch Milieuschilderungen von Eindrücken, die sie antrieben. Sie wählt dabei nicht aus, ob es gute Geschichten sind, oder schlechte. Es sind Geschichten, die sie wahrnimmt, die so oder anders passierten sind oder passiert sein könnten.
Dies möchte sie wiedergeben, so wie Schriftsteller mit Worten umgehen, mit Texten, mit verbalen Inhalten, so geht sie mit Zeichen, Bildern, Metaphern um. Dabei verliert sie sich oft auch in literarischen Texten, denn diese sind ja auch aufgeschriebene Beobachtungen, wie diese:
»Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge« von Rainer Maria Rilke
Habe ich es schon gesagt? Ich lerne sehen - ja, ich fange an. Es geht noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen. Daß es mir zum Beispiel niemals zum Bewusstsein gekommen ist, wieviel Gesichter es giebt. Es giebt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den andern? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. Aber es kommt auch vor, daß ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch nicht? Gesicht ist Gesicht. Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. Es scheint ihnen zuerst, sie hätten für immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist schon das letzte. Das hat natürlich seine Tragik. Sie sind nicht gewohnt, Gesichter zu schonen, ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat Löcher, ist an vielen Stellen dünn wie Papier, und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und sie gehen damit herum.
Figuren sind es, die oft im Vordergrund des Bildes, bühnenartig arrangiert, mimen – langgestreckte Figuren in knappen Umrissen vor aufragenden städtebaulichen Gebilden, getrennt und doch eine Einheit im Gefüge. Die Figuren schulden ihre Wirkung der besonderen Formensprache, die stets in feiner Feder- oder Pinselzeichnung geschaffen wurden –collagiert, übermalt, halb angedeutet, halb ausgeformt, mit silhouettenhaften Umrissen, teils mit maskenartigen Gesichtern, verleiht sie ihnen individuellen Ausdruck. Masken sind bewahrter Ausdruck und bewundernswerte Echos des Fühlens, zugleich wahrheitsgetreu, zurückhaltend und übersteigert. Die Figuren oft in rätselhafte Dämmerung gehüllt – allein anfindend oder in Gruppen, ab und an absichtsvoll ungewandt, oft in feinsten zeichnerischen Strichen ausgeführt, absichtsvoll verstärkt oder schattenartig dargestellt, lösen sie beim Betrachter, der sich auf die Werke einlässt, subtile Empfindungen aus.
Ein wiederkehrendes Element in Annett Schauß‘ Bildern ist auch der Blick aus dem Fenster. In Kombination mit charakteristischen Attributen, trivialen Gegenständen oder symbolträchtigen Objekten verweisen sie auf das Leben, das sich – eigentlich hinter den Außenmauern verborgen – in den Lebensbereichen im Inneren abspielt. So können Küchenreibe, Apfel, Schnur als narrative Elemente fungieren, die das Geschehen im Rauminneren repräsentieren. Auf diese Weise werden Geschichten neu erzählt. Auf neue Art wird sinnfällig, was sich hinter den Fassaden abspielt.
Durch den geschickten Einsatz vereinzelter in Szene gesetzter Schlagworte, die wie Reklameschilder in den urbanen Räumen wirken, zeigt sie sinnfällig die Zerrissenheit zwischen realem politischem Handeln und dem Spiel mit Absurditäten. Sie regen an, zum Nachsinnen und Erinnern an Ereignisse, die einst bewegten und zugleich bieten sie eine Realsatire auf den nervösen Zeitgeist.
In ihren Werken erzählt sie von Menschen, dem Verkehr der Stadt, den Geräuschen, den Bildern, den unbekannten „Persönlichkeiten“, dem Gemeinschaftsgefühl und den Stammtischen. Ihre künstlerische Haltung beschreibt sie treffend durch ein Zitat von dem österreichisch-israelischen jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber (*1878, †1965): „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“
Zur Person der Künstlerin: Annett Schauß, geboren 1964 in Berlin, nach dem Abitur zur Keramikerin ausgebildet, begann sie 1988 das Studium zur Farb- und Oberflächengestalterin an der Fachhochschule für Angewandte Kunst in Berlin-Schöneweide, Schulteil Potsdam und schloss dieses als Diplom-Designerin ab. Seit 1991 arbeitet sie freiberuflich im Bereich der Denkmalpflege, der baugebundenen, der freien und angewandten Kunst. Ein Jahrzehnt führte Annett Schauß die angesehene Ladengalerie in Bernau bei Berlin. Diese Galerie war begehrter Anziehungspunkt von Fachkollegen der »Gebrauchsgrafik«, für Besuche der dortigen Ausstellungseröffnungen und geführten Künstlergesprächen.
Seit 2010 ist Annett Schauß auch als Dozentin in verschiedenen Kultureinrichtungen, Volkshochschulen sowie an Grund- und weiterführenden Schulen tätig. Mit Projekten wie „Künstler für Schüler“ im Barnim oder ähnlichen Initiativen in Mitteldeutschland wie dem Projekt der Kulturagent:innen Thüringen bringt sie kreatives Arbeiten abseits des klassischen Kunstunterrichts in die Schulen. Dabei profitieren die Schüler von ihrer Begeisterung und ihrem künstlerischen Können.
Zudem arbeitet Annett Schauß mit Institutionen wie unter Anderem der Klassik Stiftung Weimar zusammen, um Erwachsenen und Lehrenden verschiedene Kunsttechniken sowie Wissen und Begeisterung für die Kunst zu vermitteln.
Seit drei Jahren lebt Annett Schauß im ländlichen Thüringen, das ihr neue Inspiration und eine Quelle für ihre künstlerische Arbeit bietet. Dennoch bleibt das Land Brandenburg ein wichtiger Bestandteil ihres Schaffens. Dort nutzt sie weiterhin Arbeitsräume und beschäftigt sich mit Themen, die sie in ihre Projekte einbezieht. Ihre Arbeiten präsentiert sie auch über die Landesgrenzen hinaus – so stellte sie beispielsweise im vergangenen Jahr im Oderbruch aus.
Auf diesem Weg und in der eigenen künstlerischen Arbeit wünsche ich der Künstlerin Erfolg. Den Besuchern wünsche ich Anregungen und Impulse von der Ausstellung.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, Jarla Schauß
Begegnungen mit Aussichten, 2024, Regenmantel (Oderbruch)
Eine Begegnung im Alltag, in den Wirren der Großstadt erscheint oft zufällig, ungewollt, unangenehm. Oft gehen wir einer Begegnung aus dem Weg, wir haben anders geplant, keine Zeit für diesen immer wieder spannenden Augenblick auf das Unerwartete zu stoßen, uns damit zu beschäftigen. Wir haben keine Zeit, keine Lust, keine Kraft uns immerwährend mit diesen Begegnungen, den verschiedenen Weltbildern, Ansichten und Gefühlen auseinanderzusetzen. Die Anonymität der Großstadt bildet da einen besonderen Schmelztiegel dieser Oberflächlichkeiten ab. Diese aber nur scheinbare Oberflächlichkeit ist notwendig, weil in einer Zeit der Überflutung mit Reizen und Botschaften, die menschliche Auffassungsgabe oft bis an den Rand gefüllt und die Angst groß ist, darin zu ertrinken. Also recken wir unsere Nase in die Höhe oder ganz tief nach unten und verlieren uns in den Weiter des World Wide Web. Ihm vertrauen wir unsere Wünsche, Hoffnungen und Ängste an. Über diesen kleinen Communicator verlieben wir uns, treffen wir uns, trennen wir uns. Mit einem Klick in die Anonymität und gleichzeitig in die weite Welt.
Diese Großstadt mit ihren Menschen und deren versteckten Hoffnungen und Ängsten bildet die Künstlerin Annett Schauß in ihren Arbeiten ab. Es sind die schemenhaften Häuserschluchten und Fassaden durch die ihre Protagonisten eilen, sich begegnen und manchmal auch verweilen. In ihren Bildern erzählt sie ihre Geschichten. Geschichten von Menschen in der großen Stadt, dem Verkehr und oft dem Chaos, den Geräuschen, den Situationen, die oft wirken als begegneten sich die Menschen auf einer Theaterbühne.
Die Stadt ist unbestritten der Lebensraum der Zukunft. Auf nur zwei Prozent der Weltoberfläche beherbergen die Städte rund die Hälfte der Weltbevölkerung – bis zum Jahr 2050 wahrscheinlich sogar mehr als zwei Drittel. Die Stadt, geprägt durch Beton, Asphalt und Glas, erscheint dabei geradezu als der Inbegriff der Un-Natürlichkeit. Aber die Stadt hat eben auch ihren ganz eigenen Charme. Sie erstaunt, begeistert durch ihren ewigen Wechsel zwischen Ruhe und Rastlosigkeit, zwischen den Spuren der Geschichte und leuchtenden Glasfassaden und wenn man genau hinschaut auch den vielen kleinen Fenstern, die einen Blick in unsere Vergangenheit zulassen.
Und genau diese Ambivalenz bildet Annett Schauß in ihren Bildern ab. Die Künstlerin ist in der Mitte dieser großen Stadt aufgewachsen. Hat mit den schrägen Vögeln an Stammtischen gesessen, mit den Künstlern die Galerien in den Hinterhöfen besucht, stundenlang beobachtet, skizziert und das ganze pralle Leben zwischen Brandenburger Tor und Oranienburger Straße live erlebt – auch den Wechsel zwischen dem morbiden Charme vergangener Zeiten und dem neuen Chic einer oft seelenlosen Ästhetik. All das können wir in ihren Arbeiten miterleben. In den Bildern dieser lebendigen Stadt treffen Arme und Reiche, Heimische und Fremde, Alte und Junge unmittelbar und unwillkürlich aufeinander. Dadurch, dass einem der Andere im Stadtraum begegnen, ist ein erster notwendiger Schritt zu ihrer Anerkennung und damit zu gesellschaftlicher Solidarität getan.
Ein flüchtiges Lächeln, eine beiläufige Geste der Begrüßung, der Aufbau einer Kommunikation, all das zeichnet die Begegnung in den Schluchten der Großstadt aus. Sie ist das große Geheimnis sozialer Kompetenz. Es ist eine Kunst, aus Fremdheit – Bekanntheit und aus Differenz eine gemeinsame Ebene aufzubauen. Diese vielfältigen Beziehungen und Momente der Begegnung sind das Klima, sind die Substanz, aus der neue Formen des Zusammenlebens entstehen. Diese permanente Erzeugung von Neugier auf das Fremde, das Unbekannte, das Leben, bestimmen die Beziehungen der Menschen untereinander. Bestimmen ihre Formen des Zusammenlebens, ihre Formen der Liebe und Sexualität, der Rücksicht, der Vielfalt und letztlich auch eine ganz bestimmte Form der Glücksempfindung, die wir Menschen brauchen wie die Biene den Nektar zum Leben.
In alten Zeiten gab es dafür auf dem Dorf das Wirtshaus, zum Bier nach dem Kirchbesuch, zum Umtrunk nach der Beerdigung, zum Tanz am Wochenende. Warum haben wir diese Orte der Begegnung einschlafen lassen? Keine hat sie uns weggenommen, wir haben sie einfach vergessen. Wer diese Neugier auf Neues, Fremdes bisher Ungesehenes und Unerfahrenes nicht mit einer gewissen auch kindlichen Naivität begegnen kann, wer das ablehnt, wer gar Hass und Zwietracht sät wird am Ende seiner Tage ärmer sein, oft einsam und verlassen. Auch damit das nicht passiert, haben wir die Kunst. Sie zeigt uns die Wege zu mehr Menschlichkeit, zu mehr Entdeckerfreude, zum mehr tolerantem Miteinander, zu mehr Phantasie und Empathie. Wir haben nur diese eine Welt, nur diese Menschen, die unsere Mitmenschen sind, nur diese eine Chance der Begegnung. Lassen wir die Chance nicht achtlos auf der Straße liegen. Und ob in der großen Stadt und dem kleinsten Dorf, überall soll gelten: Packen wir diese Chance an. Es lohnt sich. Also auf zur nächsten Begegnung.
Michael Pommerening, Galerist
Vom Aufzeichnen und Drucken | Ausstellung mit Uta Oesterheld-Petry, 2023
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau Oesterheld-Petry, liebe Frau Schauß, liebe Gäste,
Als Kind bin ich gern und auch relativ häufig mit meinen Großeltern mit dem Zug auf Reisen gegangen. Manchmal ging es in die Schweiz, häufig zu Verwandten nach Hamburg und von da aus weiter an die Nordsee. Startpunkt war immer meine Heimatstadt Freiburg im Breisgau. Der dortige Hauptbahnhof hatte viele Jahre lang einen durchaus sehr romantischen Charme mit einer großen Eingangshalle, grün verzierten korinthischen Säulen, einer eigenen Gepäckabfertigungshalle und strengen Schaffnern, die laut pfeifend darauf achteten, dass niemand zu nah an den Gleisen lief.
Meist waren wir lange vor Abfahrt des Zuges bereits am Bahnhof, aßen und tranken eine Kleinigkeit und beobachteten das wuselige Treiben. Menschen kamen und gingen, redeten laut oder leise, rannten zum Gleis oder schlenderten gemütlich umher, warteten, hievten schwere Koffer oder reisten fast ohne Gepäck, verabschiedeten sich unter Tränen oder mit Küssen, winkten dem abfahrenden Zug hinterher, bis er außer Sicht war.
Dann sagte meine Großmutter immer: »Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt.« Was sie mit diesem Zitat von Joseph Beuys meinte, konnte ich als kleiner Junge natürlich nur dunkel erahnen, aber dennoch ist mir dieser Satz immer im Kopf geblieben und begleitet mich bis heute bei fast jedem Aufenthalt auf einem Bahnhof. Der Hauptbahnhof als Schmelztiegel zahlreicher, ja schier unendlicher verschiedener Schicksale, die alle für einen kurzen Moment zusammentreffen, ohne voneinander zu wissen, aber doch irgendwie verbunden sind. So viele unterschiedliche Leben, so viele Geschichten stecken in all diesen Begegnungen, Begrüßungen und Verabschiedungen. Als stiller Beobachter kann man also an diesem Ort, am Hauptbahnhof, vieles miterleben, ohne genaueres ganz faktisch zu wissen. Man muss sich anhand weniger Merkmale und Anknüpfungspunkte etwas zusammenreimen, Puzzleteile zusammensetzen und Geschichten, nunja, erfinden. Wobei, ich sollte nicht sagen, man muss, man kann natürlich, man ist frei dazu, zu fantasieren und seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Es spricht nichts dagegen, bei sich selbst zu bleiben und seinen eigenen kleinen und großen Problemen nachzugehen. Aber am Hauptbahnhof, draußen in der Welt also, prasseln so viele andere Lebensentwürfe auf uns ein, dass es fast unmöglich ist, sich dem Gedankenspiel gänzlich zu entziehen, wer dieser andere Mensch sein könnte und was die Geschichte dahinter ist.
Bevor also die Reise, sei sie nun privater oder beruflicher Natur, überhaupt so richtig begonnen hat, das eigene Abenteuer, mag es vielleicht noch so unscheinbar sein, seinen Anfang nimmt, ja noch davor hat uns bereits das Leben der Anderen in seinen Bann gezogen. Sofern man bereit ist, den Blick zu öffnen, zu weiten, für ebenjenes Leben der Anderen, für die Geheimnisse der Anderen.
Diesen feinen Blick haben Uta Oesterheld-Petry und Annett Schauß, und die hier ausgestellten Werke beweisen es eindrücklich. Über 40 Arbeiten der beiden Künstlerinnen sind zu sehen, und sie alle eint zweierlei: die handwerklichen Techniken ihrer Entstehung sowie die inhaltlich-thematischen Verbindungslinien. In dieser Woche jährt sich der Tag der Druckkunst zum fünften Mal, daher möchte ich kurz darauf eingehen, wie diese Arbeiten entstanden sind und in welche lange, wunderbare Tradition sie sich einreihen. Mit dem Tag der Druckkunst feiern wir und alle beteiligten Akteure die Aufnahme traditioneller Drucktechniken in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCO-Kommission. Die künstlerischen Drucktechniken des Hochdrucks, Tiefdrucks, Flachdrucks und deren Mischformen sind seit mehr als 500 Jahren Teil der europäischen Kultur und Wissensgesellschaft, und noch viel länger Teil der Menschheitsgeschichte. In Deutschland stehen Johannes Gutenberg und Albrecht Dürer stellvertretend für die Anfänge dieser Innovation. Der Name Gutenberg, übrigens ein gelernter Goldschmied, macht es schon deutlich: Druckkunst hängt eng auch mit dem Buchdruck als solchem zusammen. Und dieser war anfangs und bis weit ins 17. Jahrhundert durchaus eine eigene Kunst für sich, Zeitgenossen sprachen sogar vom »achten Weltwunder«. Aufwändig verzierte, geschmückte und goldschimmernde Prachtausgaben wurden zu hohen Preisen in die ganze Welt verkauft. Gleichzeitig war durch die neuen Möglichkeiten der Druckkunst mit auswechselbaren Lettern eine flexible, relativ kostengünstige und schnelle Erstellung größerer Auflagen möglich, was natürlich erheblich zu einer Demokratisierung bei der Verbreitung von Informationen beitrug. Zuvor war die Erschaffung und handschriftliche Vervielfältigung von Dokumenten und Büchern einzig das Metier einer kleinen Zahl von Spezialisten, in Europa insbesondere der gebildeten Mönche und Nonnen in den Skriptorien der Klöster.
Der Zugang für breitere Bevölkerungsschichten war also äußerst beschränkt. Die neue massenhafte Verbreitung von Wissen, Nachrichten und Meinungen frei von einer direkten Kontrolle durch Kirche und Obrigkeit, setzte ungeheure gesellschaftliche Energien frei und brachte große soziale und politische Umwälzungen mit sich, wie es z.B. die Epoche der Renaissance sowie die Zeit der Aufklärung war. Das Verfahren des Setzens von Hand mit beweglichen Lettern blieb tatsächlich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts unverändert, schuf aber dennoch die Grundlagen unserer heutigen Wissensgesellschaft. Heute werden diese traditionellen künstlerischen Drucktechniken in Deutschland und Europa vor allem von Bildenden Künstlerinnen und Künstlern gepflegt und weiterentwickelt. So wie bei uns Frau Oesterheld-Petry und Frau Schauß. Auch ihnen liegt dieser Demokratisierungs-Gedanke sehr am Herzen. Beide arbeiten oft und eng mit Schulklassen und Bildungseinrichtungen sowie Museen zusammen, um gerade junge Menschen für diese Techniken zu begeistern, ihnen dieses Handwerk nahe zu bringen. Und für Sie, liebe Gäste, gibt es am Samstagvormittag, 18. März, von 10 bis 13 Uhr in beiden Ateliers die Möglichkeit, verschiedene Drucktechniken, Radierung, Monotypie, Linolschnitt, unter fachkundiger Anleitung auszuprobieren.
Die Bilder der beiden Künstlerinnen haben mich an besondere Momente meiner Kindheit erinnert und ich hoffe, auch Sie, liebe Gäste, lassen sich inspirieren von den Geschichten und Emotionen, die in den Bildern stecken. Die Werke von Uta Oesterheld-Petry und Annett Schauß wollen Erinnerungen hervorrufen, Erfahrungen teilen, Träume wecken. Sei es ausgelöst von Reisen nach New York oder Berlin, unterwegs in Heiligenstadt oder der freien Natur. Überall hilft der freie, klare, genaue Blick und eröffnet tiefere Bedeutungsebenen. Sie sehen also, liebe Gäste, die Mysterien finden auch in Heiligenstadt statt. Wir müssen nur offen sein und danach schauen. Vielen Dank!
Dr. Gideon Haut, Heilbad Heiligenstadt, Direktor der städtischen Museen in Heiligenstadt
Ausstellung »Traum-Stadt«
»… Flächigkeit ist ein charakteristisches Merkmal, eine gestalterische Eigenart der Künstlerin, die sie kaum von Bild zu Bild ändert. Viele der Bilder, die kaum Himmel kennen, führen die Objektflächen bis zur Formatgrenze. … Die deutliche Orientierung auf grafische Wirkung setzt den Ausschluss stark bunter Farben voraus, ohne dass das Farbige in den Werken von Annett Schauß zu kurz käme. Die weitgehende Reduzierung auf dünn aufgetragene Farbspuren, auf sparsam verwendetes Helldunkel aber bewusst eingesetzte Kontraste charakterisieren ihre Arbeiten, die Bestandteil der Ausstellung sind.… Die fast grafisch anmutenden Werke zeigen die Art und Weise, wie Annett Schauß ihre Erzählungen in die Bildsprache transponiert.…Die Künstlerin eröffnet hier wie in anderen Bildern Möglichkeitsräume für menschliche Komödien, Tragödien, Lust, Schmerz und Trauer, für existenzielle Visionen, Sehnsüchte, Träume. Sie macht aufmerksam auf menschliche Beziehungen, auf deren Gebundenheit an Orte und Räume. Für die Gestaltung der Problematik nutzt sie die Enge des Schichtenraums. Die Nahsicht auf die Dinge und der radikale Ausschnitt verstärken die »Raumlosigkeit«. Ein enger Bühnenraum charakterisiert die Werke, in denen wie auf einer kleinen Theaterbühne die Auftritte der ausgewählten Objekte vorgeführt werden. Das Bild des Außenraums wird zur Kulisse. …«
Aus der Laudatio von Frau Prof. Marieluise Schaum, Galerie Biesenthal, 2017
Annett Schauß hält es mit unscheinbaren Dingen des Alltags
Annett Schauß hält es mit unscheinbaren Dingen des Alltags Annett Schauß hält es mit unscheinbaren Dingen des Alltags, die sie auf verschiedenen Schauplätzen städtischen Lebens entdeckt. Im seriellen Umgang mit den Motiven, die sie, ganz aus dem Strich und ohne die Zeichnung zu kolorieren, mit dünn aufgetragenen wässrigen Farbspuren entwickelt, bewegt sie sich in losem Bezug zur physikalischen Wirklichkeit. Ohne sich auf konkrete Wiedererkennungswerte zu beziehen, nähert sie sich der Dokumentation topografischer Erinnerungen. Nicht als naturgetreue Wiedergabe, sondern in Verbindung des Wesentlichen mit dem Unwesentlichen. Beides wird mit künstlerischen Mitteln der Vereinfachung intensiviert. Auf diese Weise manifestieren sich in ihren von lockerem Duktus bestimmten Tuschzeichnungen optische Impressionen, beschauliche Sachlichkeit und narrative Elemente. Während die vom intuitiven Impuls lebende Bühnenrealität durch theatralische Übertreibung charakterisiert ist, die zum Illustrativen tendiert, verwandelt sie die urbane Landschaft durch Staffelung und Verschachtelung der Fassaden in eine wuchernde Bildarchitektur, bei der sich verschobene Raum- und Größenverhältnisse und vereinfachte, lockere Zeichenweise zu atmosphärischer Darstellung verbinden. Diese ist weniger von lokalspezifischen Besonderheiten als von ahnungsvollem Flair bestimmt. In dem sich in stilisierten Gründerzeitfassaden die Spuren vergangenen und gegenwärtigen Lebens manifestieren, kann man von einem gleichnishaften Umgang mit dem Stadtbild als Spiegel der Lebensverhältnisse sprechen, ergänzt und mit Blick auf menschenleere Räume von sozialer Milieuschilderung ohne Akteure.
Herbert Schirmer, Kunstwissenschaftler/Publizist, Ausstellungsmanager, Text aus: Sabine Voerster (Hrsg.), 38 Künstler im Barnim, 2015